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Die Angst vor der Innovationsperipherie

 

Wirtschaftsspionage ganz neuer Qualität gefährdet den Vorsprung des Westens

von Dieter Schnaas
Auszug aus: Internationale Politik 1, Januar/Februar 2014, S. 8-15

Die Abschöpfung von Wissen durch Staaten und Konzerne kennt im Digitalkapitalismus keine Kapazitätsgrenzen mehr. Für einen Wissensstandort wie Deutschland bedeutet das: Die Frist zur Materialisierung von Innovationsvorsprüngen wird immer kürzer, Innovation eine immer kostbarere Ressource. Unser Wohlstandsmodell steht auf dem Spiel.

Man kann dem Koalitionsvertrag von Union und SPD sicher viel vorwerfen: dass er in seinem Detailreichtum einem Vier-Jahres-Plan gleicht zum Beispiel oder dass er in seinem Phrasenreichtum den Eindruck nahe legt, die beiden Partner hätten überhaupt keinen Plan. Nur an einem lassen die beiden Volksparteien nicht den leisesten Zweifel: dass die Zukunft Deutschlands von seiner Innovationsfähigkeit abhängt. Schon im ersten Satz der Präambel verpflichten sich Union und SPD darauf, „die Grundlagen für unseren Wohlstand zu sichern", nur um gleich im ersten Absatz des ersten Abschnitts unter der Überschrift „Wachstum, Innovation und Wohlstand" die Notwendigkeit einer „Neuen Gründerzeit" auszurufen, in die hinein man das Land durch verbesserte „Rahmenbedingungen für Innovationen und Investitionen" befördern wolle.

Mehr noch: Die Koalition scheint auch die Gründe dafür zu kennen, warum in den kommenden Jahrzehnten die Bedeutung von Innovationen zur Erhaltung des Wohlstands in Deutschland eher wächst als schrumpft: Die „verschärfte internationale Konkurrenz ..., ein rasanter wissenschaftlicher und technischer Fortschritt ... (und) der demografische Wandel" erschwerten es uns immer mehr, ein „wettbewerbsfähiger Industrie- und Produktionsstandort" zu bleiben. Deshalb brauche das Land dringender denn je „neue Produkte und Verfahren", kurz: Innovationen. Tatsächlich ist es verblüffend und vielsagend zugleich, dass das Wort „Innovation" im Koalitionsvertrag insgesamt 122 Mal vorkommt – und damit als Grundlage von „Wachstum" (115 Mal), „Zukunft" (100) und „Wohlstand" (74) häufiger als diese Begriffe.

Was allerdings den Schutz der deutschen Innovationskraft anbelangt, so schien er Politik und Unternehmen bis vor kurzem noch ziemlich gleichgültig zu sein; erst die spektakulären Enthüllungen von Edward Snowden scheinen die Sensibilität für Themen wie IT-Sicherheit, Cyberkriminalität und ­Betriebsspionage entscheidend erhöht zu haben. Sei es aus Sorglosigkeit, aus Mangel an Vorstellungskraft oder schlicht aus Gründen des digitalen Analphabetismus: Bisher telefonierten Manager in Cafés, klappten ihre Laptops im ICE auf und simsten in den Business-Lounges der Flughäfen um die Wette, als hätten sie partout nichts zu verbergen. Dabei weiß man schon seit Jahren, dass es selbst für Hacker-Amateure ein Kinderspiel ist, sich gerade in öffentlichen Durchgangsräumen Zugriff auf fremde Daten zu verschaffen. Dass Firmen und ihre Mitarbeiter besonders bevorzugt auf Messen und Geschäftsreisen ausspioniert werden. Und dass mittelständische „Marktführer, Hightech-Firmen und innovative Maschinen- und Anlagenbauer besonders gefährdet" sind, so Hartwig Möller, der damalige Leiter des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen, bereits 2008.

 

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